Fahrverhalten und Unfälle in Kurven - Fahrverhalten in Kurvenbereichen
Auftraggeber
UVEK / ASTRA, VSS-Forschungsauftrag 16/84
Autor
P. Spacek
Bezugsquelle
VSS-Sekretariat, Seefeldstr. 9, 8008 Zürich; Tel.: 044 / 269 40 20
Bericht Nr. 410
Zusammenfassung
Ausgangslage
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Untersuchungen des Fahrverhaltens in Kurvenbereichen, mit Schwergewicht auf dem Spurverhalten. Dabei wurden
- eine Typisierung der Fahrvorgänge nach der Art der Spurverläufe längs Kurven entwickelt, sechs Spurtypen (Idealverhalten, Normalverhalten, Korrigieren, Schneiden, Ausholen und Hinaustragen) definiert und ihre charakteristischen Merkmale ermittelt,
- die Häufigkeit des Auftretens einzelner Spurtypen und deren Zusammenhänge mit der Kurvengeometrie beurteilt,
- Zusammenhänge zwischen Spurverhalten und Unfallgeschehen in Kurven untersucht.
Die Erhebungen wurden in Kurven auf Strassen ausserorts (Temporegime 80 km/h) mit Radien zwischen 65 und 220 m durchgeführt. Gemessen wurde mit einer Messeinrichtung, die zur Tarnung in gewöhnlichen Strassenleitpfosten eingebaut ist ("Messpfosten"). Die bis zu 12 Messpfosten wurden längs der Kurvenbereiche aufgestellt. Sie erlauben die Erfassung von Durchfahrtszeiten, Fahrtrichtungen, Fahrzeuglängen, Geschwindigkeiten und Abstände der Fahrzeuge vom Fahrbahnrand.
Für die Auswertung der Messdaten musste ein umfangreiches EDV-Programmsystem erarbeitet werden, welches u.a. die Rekonstruktion der Spurverläufe einzelner Fahrzeuge und ihre Darstellung auf dem Hintergrund der tatsächlichen Kurvensituation ermöglicht. Alle Auswertungen erfolgten bezüglich Geschwindigkeits- und Spurverhalten, und zwar für die Gruppe "alle Fahrzeuge" und für die Teilmengen "einzelne Spurtypen".
Wichtigste Erkenntnisse bezüglich des Spurverhaltens
- Die Fahrzeuglenker fahren grundsätzlich in einem deutlich grösseren Abstand zum Strassenrand als zur Mittellinie und zwar sowohl in Links- als auch in Rechtskurven und weitgehend unabhängig von der Fahrbahnbreite.
- Die Bahnkurven setzten sich aus einer Folge von Krümmungssprüngen zusammen. Dadurch treten lokal hohe Querbeschleunigungen auf. Sie sind primär eine Folge der durch die Fahrzeuglenker vorgenommenen Lenkkorrekturen. In Kurven mit kleinen und mittleren Radien sind die lokalen Querbeschleunigungen oft mehr als zweimal grösser als jene bei einem "normgemässen" Fahrverhalten.
- Die Untersuchung hat bestätigt, dass in Kurven verschiedene Muster von Spurverläufen vorhanden sind, und dass die Häufigkeit der einzelnen Spurtypen von Kurve zu Kurve zum Teil sehr unterschiedlich ist.
- Zwischen Spurtypenhäufigkeit und Kurvengeometrie konnten nur tendenzielle Zusammenhänge festgestellt werden, wobei sie beim Verhältnis Klothoidenparameter / Kurvenradius, bei der Kreisbogenlänge und bei den Fahrstreifenbreiten am deutlichsten waren.
- Die höchsten Geschwindigkeiten im Kurvenbereich weisen die Spurtypen "Schneiden" (in Linkskurven) und "Ausholen" (in Rechtskurven) auf. Obwohl bei Spurverläufen dieser Art angenommen wird, sie würden ausgeführt, um die Querbeschleunigung während der Kurvenfahrt zu kompensieren, haben die Erhebungen gezeigt, dass bei diesen Spurtypen im Mittel die grössten lokalen Querbeschleunigungen auftreten.
- Die lokal grössten Spurkrümmungen ergaben sich beim Spurtyp "Korrigieren", wobei sie - ähnlich wie bei anderen Spurtypen - in den allermeisten Fällen mit jenen Orten zusammenfallen, in welchen auch die grössten Querbeschleunigungen ermittelt wurden. Beim Spurtyp "Korrigieren" liegen die Querbeschleunigungswerte bei Nacht wesentlich höher als am Tag.
- Die lokal grössten Querbeschleunigungen treten in der Regel in der zweiten Kurvenhälfte auf, bei den Spurtypen "Ausholen" und "Normalverhalten" in Linkskurven auch in der ersten Kreisbogenhälfte.
- Die Auswertungen haben trotz beschränkter Stichprobengrösse gezeigt, dass zwischen Unfallhäufigkeit und Häufigkeit von Spurtypen Zusammenhänge bestehen. Am deutlichsten nimmt die Häufigkeit der Selbst-/Schleuderunfälle mit zunehmendem Anteil des Typs "Korrigieren" zu. Bei grösserem Anteil an "unerwünschten" Spurtypen (Korrigieren, Schneiden, Ausholen und Hinaustragen) ist auch eine höhere Zahl von Unfällen zu erwarten.
- Am Beispiel einer Kurve mit erhöhter Unfallhäufigkeit konnte nachgewiesen werden, dass auch zwischen Unfallorten und Spurverhalten offensichtliche Abhängigkeiten bestehen: Die Kollisionspunkte der Selbst-/Schleuderunfälle befinden sich in der Fortsetzung jener Kurvenbereiche, in welchen sich das Auftreten von höchsten Querbeschleunigungen einzelner Spurverläufe konzentriert. Diese Zusammenhänge sind beim Spurtyp "Korrigieren" am ausgeprägtesten; sie sind auch beim Spurtyp "Schneiden" deutlich.
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Fachartikel veröffentlicht in "Strassenverkehrstechnik", Heft 2/1999
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