Geschwindigkeiten in Kurven
Auftraggeber
UVEK / ASTRA, VSS-Forschungsauftrag 1/96
Autoren
P. Spacek
I. Belopitov
Bezugsquelle
VSS-Sekretariat, Seefeldstr. 9, 8008 Zürich; Tel.: 044 / 269 40 20
Bericht Nr. 420
Zusammenfassung
Ausgangslage
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Untersuchungen des Geschwindigkeitsverhaltens in Kurven auf Strassen ausserhalb besiedelter Gebiete, die der generellen Geschwindigkeitslimite 80 km/h unterliegen. Im Vordergrund stand der Zusammenhang zwischen Kurvenradius und Geschwindigkeit. Untersucht wurden auch Einflüsse von weiteren Projektierungsgrössen in Kurven. Zudem interessierten auch die Veränderungen im Geschwindigkeitsverhalten im Vergleich zu früheren Erhebungen aus dem Zeitraum mit Tempolimite 100 km/h (im Jahr 1978) sowie die Beurteilung der allfälligen Auswirkungen auf bestehende Projektierungsnormen der VSS (Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute).
Zu diesem Zweck wurden Geschwindigkeitsmessungen in 23 Kurven mit Radien zwischen 18 und 700 m durchgeführt. Mit der eingesetzten Messeinrichtung konnten auch Geschwindigkeitsverläufe längs der Kurvenbereiche erhoben werden. Ausgewertet und analysiert wurden Geschwindigkeiten der ungehindert fahrenden Fahrzeuge. Die wichtigsten Ergebnisse sind nachfolgend zusammengestellt.
Geschwindigkeitsverteilung im Kreisbogen
- Die Geschwindigkeiten in Kurven sind gegenüber jenen aus dem Jahr 1978 deutlich homogener geworden, vor allem bei grösseren Kurvenradien.
- Die Geschwindigkeitsdifferenzen Delta V85%/V15%, und die Standardabweichungen s haben sich wesentlich verringert.
- Die Standardabweichungen s nehmen wie 1978 mit zunehmender Geschwindigkeit zu; sie haben sich jedoch bei grösseren Radien deutlich verringert.
Geschwindigkeitsverlauf / Geschwindigkeitsanpassung
- Der U-förmige Geschwindigkeitsverlauf (Verzögerung vor / Beschleunigung nach Kreisbogen) ist bei Kurven mit Radien > ca. 140 m praktisch nicht mehr vorhanden.
- Dementsprechend resultieren im Bereich der Übergangsbogen bei mittleren und grösseren Radien praktisch keine Längsverzögerungen.
- Die bei den Kurven mit kleineren Radien (R < ca.115 m) ermittelten Werte der mittleren Verzögerung entsprechen weitgehend dem im Geschwindigkeitsmodell der bestehenden Norm angenommenen Wert
- 1978 wurde auch im Bereich der ersten Kreisbogenhälfte verzögert. Dies wurde 1998 praktisch nicht mehr festgestellt.
Geschwindigkeiten in Funktion des Kurvenradius
- Wie im Jahr 1978 besteht die Radienabhängigkeit der Geschwindigkeiten im engeren Sinn nicht. Für Entwurfszwecke wird diese Funktionsabhängigkeit dennoch als brauchbar erachtet. Die Streuung der Messwerte ist gegenüber jener aus dem Jahr 1978 etwas kleiner geworden.
- Sowohl die mittleren als auch die V85%-Geschwindigkeiten im Kreisbogen haben sich gegenüber jenen von 1978 verringert. Die V85%-Werte liegen jedoch bereits bei Radien > ca. 150 m über der Tempolimite von 80 km/h.
- Aus dem Vergleich der Regressionskurven der Jahre 1978 und 1998 ergab sich, dass die V85%-Werte bei R > ca. 100 m bis zu 10 km/h tiefer liegen. Die Unterschiede reduzieren sich bei kleineren Radien bis auf 0 km/h. Nur bei Radien < 45 m liegen die 1998 gerechneten V85%-Werte bis maximal 5 km/h höher.
- Der vor 20 Jahren, nach Einführung der Tempolimite 100 km/h auf Strassen ausserorts festgestellte Effekt der Erhöhung von Geschwindigkeiten in Kurven mit Radien < ca. 400 m ist unter dem Regime 80 km/h nicht aufgetreten.
Querbeschleunigung und Reibungsbeanspruchung im Kreisbogen
- Analog der Geschwindigkeitsveränderung haben sich die Querbeschleunigungen in Kreisbogen mit Radien grösser als 45 m gegenüber 1978 verringert.
- Die Reibungsbeanspruchung in radialer Richtung (Koeffizient fR) hat sich 1998 in Kurven adäquat zur spürbaren Querbeschleunigung im Vergleich zu 1978 verringert. Die zulässigen Werte gemäss bestehender Norm werden bei Radien > ca. 200 m nicht beansprucht; bei Radien < ca. 150 m werden sie jedoch deutlich überschritten.
Geschwindigkeiten in Kurven und andere Projektierungselemente
- Deutliche Zusammenhänge haben sich bei den Winkeln der Richtungsänderung und bei der Kreisbogenlänge gezeigt. Eine teilweise Beeinflussung der Geschwindigkeiten in Kurven konnte auch bei der Fahrbahnbreite im Kreisbogen sowie bei den Sichtweiten festgestellt werden.
- Ungeeignet erweisen sich kleine Winkel der Richtungsänderung (Phi < ca. 50 gon und Alpha < ca. 30 gon). Sie verleiten zu erhöhten Geschwindigkeiten. Dementsprechend sind auch Kurven mit kurzen Kreisbogen, die mit Fahrzeiten < 2 s befahren werden ungünstig; bei mittleren und grösseren Radien sind Kreisbogenlängen entsprechend Fahrzeiten > 4 s bzw. > 6 s angezeigt.
Geschwindigkeiten V85% und Projektierungsgeschwindigkeit Vp
- Die Projektierungsgeschwindigkeit in Kurven gemäss bestehender Norm basiert auf physikalischen Berechnungen und wird für den Entwurf der Linienführung auf Strassen angewendet, die nach fahrdynamischen Grundsätzen trassiert werden. Bei den Berechnungen wird vom Griffigkeitshintergrund auf schweizerischen Strassen ausgegangen. Die Abweichung der neuen, aufgrund von Messungen ermittelten Funktionskurve V85% (1998) von der Projektierungsgeschwindigkeit Vp gemäss Norm hat sich nach Einführung der Tempolimite 80 km/h deutlich verringert. Aus dieser Sicht drängt sich eine Anpassung des Zusammenhanges Vp = f(R) gemäss Modell der bestehenden Norm nicht auf.
- Der Funktionsverlauf der VP in Kurven entspricht auch jenem in solchen ausländischen Richtlinien, welche für die Trassierung auf physikalischen Modellen basierende Geschwindigkeiten empfehlen.
Aufgrund dieser Ergebnisse und unter Berücksichtigung der laufenden und geplanten Forschungsarbeiten der Kommission für Forschung im Strassenwesen wurden Vorschläge für die Anpassung der Projektierungsnormen der VSS erarbeitet.
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Überblick der Ergebnisse des Forschungsauftrags "Geschwindigkeiten in Kurven"
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